Gehalten auf der Ratssitzung am 10.03.2022 durch Stephan Fromm
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Ratskolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
mit der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder des Rates werden wir heute die Bildung einer dritten Grundschule, als Teil der Oberschule beschließen. Möglicherweise sogar einstimmig.
Viele von uns tun dies mit Magenschmerzen und Unwohlsein. Und wir haben Grund dazu!
Um zu verstehen warum und warum so schnell muss man in den Spätsommer 2021 zurückgehen, und sich an die massiven Elternproteste, mit mehr als 200 Teilnehmenden, vor dem Rathaus erinnern. Allerdings ging es bei den Protesten nicht um Schulen und Schulplätze, sondern um die nicht zufriedenstellende Situation der nachschulischen Betreuung im Primarbereich.
Angesichts des starken Zuzugs, vor allem jüngerer Familien mit Kindern im Kita- und Primarschul-Alter, durch die fortwährende Ausweisung von Neubaugebieten in den letzten Jahren, wurde offensichtlich, dass die notwendige Infrastruktur für die Betreuung, seitens der Stadt nicht geschaffen wurde. Spätestens mit Verlauf der Ratsperiode 2011-2016 hat sich diese Situation sichtbar angebahnt. Wenn also der Ortsbürgermeister von Leveste und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Erziehung und Betreuung in der letzten Ausschusssitzung von dieser Woche feststellt, dass der SPD Fraktion die Betreuungssituation seit September 2021 bewusst wäre, so entspricht das zwar meiner Wahrnehmung der Problemerfassungskompetenz eben dieser Fraktion, aber es kommt halt 8 Jahre zu spät.
Über ähnliche Problemverdrängungskompetenz verfügt im Übrigen auch der Bürgermeister. Anders ist kaum zu erklären, wie er vor 8 Jahren mit dem Thema Schulen und Betreuung, als „Ein Gehrdener für Gehrden“, in den Wahlkampf ziehen konnte, und dann so ein Ergebnis dabei herauskommt.
Zurück zur Sache. Wir kommen also von einer Situation unzureichender nachschulischer Betreuung.
An dieser Stelle kulminieren mehrere akute Probleme der Stadt zu einem großen.
- Für die freiwillige Leistung nachschulischer Betreuung von Kindern im Grundschulalter, übersteigt der Bedarf das Angebot sehr deutlich
- Die Grundschule Am Castrum wird seit Jahren entgegen der gesetzlichen Vorgaben mit mehr als 4-Zügen betrieben. Die sich daraus ergebende Raumnot wirkt verstärkend auf die Unmöglichkeit das Betreuungsangebot zu erhöhen.
- Die Schulübergangsquote von den Grundschulen an die OBS ist seit Jahren zu gering, was sich negativ auf die Oberschule auswirkt.
Mit der Bildung einer dritten Grundschule meint man nun den Knoten durchschlagen zu können und gleichzeitig eine zukunftssichere Lösung zu schaffen. Denn, wir lösen 1. weil gebundener Ganztag Betreuungsplätze schafft, wir lösen 2. weil die GS Am Castrum dann nicht 6-zügig einschulen muss und wir dürfen hoffen 3. zu lösen, wenn Kinder zukünftig an der OBS bleiben, nachdem sie bereits 4 Jahre dort unterrichtet wurden.
Meine sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns dann auch die vierte Wahrheit ebenfalls aussprechen. Wir sind pleite! So sagt es jedenfalls der Kämmerer. Ob das tatsächlich so ist, und wenn ja warum und warum niemand etwas dagegen unternimmt, gehört hier nicht her.
Was im Kontext Geld aber hierher gehört ist, dass ich es als unerträglich und zynisch empfinde, wenn der Vorsitzendes des Ausschusses für Finanzen, Wirtschaft und Digitales im Bildungsausschuss davon spricht, dass Schulbauten einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung standhalten müssen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bildung, Pflege und Gesundheit haben keiner Wirtschaftlichkeitsrechnung zu. Bildung, Pflege und Gesundheit allerdings sind die unerlässliche Grundlage von Wirtschaftskraft und finanzieren damit weit mehr, als nur sich selbst.
Was im Kontext Geld ebenfalls hierher gehört ist, dass die Schaffung einer dritten Grundschule an der OBS für die Verwaltung vermeintlich die mit Abstand kostengünstigste Lösung des Betreuungsthemas ist, die man finden konnte.
Vermeintlich deswegen, weil durch die nun notwendig gewordene Weiternutzung des Südbaus der Grundschule Am Castrum für die Abschlussklassen der OBS entsprechende Ertüchtigungskosten erforderlich werden, und auch die damit erforderlich werdende Abwicklung des Neubau der Grundschule am Castrum in mehreren Bauabschnitten wird dieses Vorhaben mit Kostensteigerungen belasten.
Einzig die Tatsache, dass die Betreuung der Kinder im gebundenen Ganztag der OBS von Lehrern und Lehrerinnen des Landes Niedersachsen geleistet wird, und damit dem Schulgesetz und nicht dem Kita-Gesetz unterliegt, wirkt für die Stadt kostensenkend.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Ratsgruppe Die PARTEI / Die Linke wird der Beschlussvorlage zustimmen.
- Wir tun das, weil unser Verständnis von Kommunalpolitik bedeutet, das Notwendige zu unterstützen, und die Mehrheitsparteien ggfs. mit besseren Ideen anzutreiben.
- Wir tun das, in dem Wissen, dass dies nicht gewünschte und auch nicht die ideale Lösung ist, aber die einzige, die sich zu diesem Zeitpunkt noch umsetzen lässt.
- Wir tun das auch in dem Wissen, dass die so sorgfältig und detailliert ausgearbeiteten Schulentwicklungszahlen von Frau Ungern-Sternberg, vor dem Hintergrund einer beispiellosen Flüchtlingsbewegung aufgrund des Krieges in der Ukraine, bereits wieder überholt sind.
Aus diesem Grund stellen wir den Änderungsantrag, die Beschlussvorlage 0128/1 derart abzuändern, dass das Wort „höchstens“ aus der Beschlussvorlage gestrichen wird. Ziel dieses Änderungsantrages ist, weitere kurzfristig nutzbare Handlungsspielräume, aufgrund steigender Schülerzahlen im Primarbereich, zur Verfügung zu haben.
Weiterhin wird die Ratsgruppe Die PARTEI / Die Linke zur nächsten Sitzung des Ausschusses für Bildung, Erziehung und Betreuung einen Prüfauftrag zur Errichtung einer zweizügigen Ganztags-Grundschule für das Schuljahr 2026/27 am Standort Leveste einbringen.
Hintergrund dafür ist, dass die Stadt Gehrden nicht nur Regionsmeisterin in Sachen Fertilität, sondern auch Vizemeisterin in Sachen Bevölkerungswachstum ist, was bereits heute absehbar dazu führen wird, dass wir spätestens in den 2030er Jahren eher zwölf, als acht Grundschulzüge einschulen müssen.
Es macht Sinn, dieser Entwicklung infrastrukturell immer einen Schritt voraus zu sein.
Ich bedanke mich, bei allen die an den intensiven Diskussionen zur Lösungsfindung mitgewirkt haben. Bei der Verwaltung für die enorme Arbeit, die in dieses Thema investiert wurde und sehr herzlich bei den Schulleitungen Frau von Zimmermann, Frau Diemert und Carsten Huge für ihren nimmermüden Einsatz für ihre Schülerinnen und Schüler.
Ich wünsche den Eltern, Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit den Schulleitungen gutes Gelingen bei der Umsetzung der Pläne und Ideen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Stephan Fromm
Vorsitzender der Ratsgruppe Die PARTEI / Die Linke